Pleitewelle bei Bauträgern wird zum Tsunami

33/2023: Wöchentlicher Kommentar von Stefan Loipfinger

Liebe Leserinnen und Leser,
derzeit erlebt die Immobilienbranche eine Zäsur wie noch nie. Euroboden, Development Partner, Centrum, Revitalis oder die Project-Gruppe sind seit Tagen in den Schlagzeilen. Aber haben Sie schon von der Paulus Wohnbau gehört? 111 Millionen Euro Bilanzsumme reichen aktuell nicht mehr, um mit einer Insolvenz in die überregionalen Medien zu kommen. Da diese Firma aber mehrere Schwarmfinanzierungen emittierte, wird über den Insolvenzantrag intensiv im Anlegerforum Investmentcheck.Community diskutiert. Zinsbaustein als sammelnde Plattform muss nun beweisen, ob sie sich ernsthafter für die von ihr vermittelten AnlegerInnen einsetzt als das beispielsweise Exporo, Dagobert oder Bergfürst bei Problemfundings tun.

Angesichts dieser Bauträgerpleitewelle möchte ich kurz auf eine Gruppe Geschädigter eingehen, die häufig bei der Betrachtung tausender AnlegerInnen unter geht: Die WohnungskäuferInnen. 3,2 Milliarden Euro Gesamtvolumen bei Project verkörpern 6.200 einzelne Wohn- und Gewerbeeinheiten. Manche sind global verkauft und manche überhaupt noch nicht, aber mehr als 1.000 Familien dürften derzeit nicht gut schlafen, weil sie je nach Baufortschritt bereits ganz erhebliche Beträge anbezahlt haben. Hier geht es häufig um die Existenz, was Scharlatane durch Panikmache gleich ausnutzen. Besonnenheit und das Sammeln von Fakten sollte derzeit oberste Priorität haben. Klar redet oder schreibt sich ein Außenstehender leicht, wenn er zur Besonnenheit aufruft und selbst keine Existenzangst hat. Nur unsinnige Ausgaben für Rechtsbeistände machen die Situation nicht besser. Seriöse AnwältInnen recherchieren erst und informieren sachlich. Wie schlimm die Auswirkungen der bisher fünf insolventen Project-Unternehmen am Ende für die Objektgesellschaften sein werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Das sind allerdings die Vertragspartner der WohnungskäuferInnen.

Edvard Munch wäre derzeit wohl aus dem Schreien nicht mehr herausgekommen
Edvard Munch wäre derzeit wohl aus dem Schreien nicht mehr herausgekommen
Quelle: Collage vom Bild „Der Schrei“, in die Breite gezogen und ergänzt

Zeitnah eine Entscheidung müssen die Ratensparer bei den Project-Fonds treffen. Rund 5.000 AnlegerInnen haben beispielsweise in die Ansparangebote Metropolen 15, 17, 19 und 21 investiert. Sie zahlen monatlich Geld in ein Fass, von dem sie nicht wissen, ob dieses noch einen Boden hat. Aber die Zahlungen einfach einstellen würde bedeuten, vertragsbrüchig zu werden. Deshalb habe ich Kerstin Kondert vom Aktionsbund Aktiver Anlegerschutz gebeten, ein rechtlich geprüftes Musterschreiben erstellen zu lassen. Das haben wir schon einmal sehr erfolgreich bei Steiner & Company aus Hamburg praktiziert.

Zum aktuellen Stand des gesamten Verfahrens hat Schultze & Braun gestern eine Pressemitteilung verschickt. Der bei der Holding Project Real Estate AG nun eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter Volker Böhm versucht zu beruhigen und betont als Priorität, den KäuferInnen der Wohnungen belastbare Informationen zu liefern. Das ist lobenswert, zeigt aber, dass Project über diese Informationen nicht verfügt. Der extreme Aderlass beim Personal von über 600 auf nun noch 270 MitarbeiterInnen hat das von Vielen im Anlegerforum bemängelte Chaos wohl noch verstärkt. Die Sorgen der FondsanlegerInnen, wie stark die Insolvenzen auf die Investment-Seite durchschlagen, sind durch einen Insolvenzantrag bei der Project Vermittlungs GmbH (Bericht vom 14. August) stark vergrößert worden. Verwalter Böhm hat in seiner Pressemitteilung mit dem kleinen Wörtchen „noch“ die letzte Hoffnung zerstört. Er hat nämlich betont, dass die Investment-Sparte „noch weitgehend Insolvenz-frei“ sei.

Bleibt mir ein letztes Thema, das mich diese Woche mal wieder sprachlos machte: Am Dienstag fand in Fürth die Fortsetzung der Gläubigerversammlung bei der seit Dezember 2021 insolventen Leonidas III statt. Nachdem „Anlegeranwalt“ Michael Handlos aus München bereits die erste Versammlung im Februar sprengte, hat dieser nun auch die Fortsetzung durch einen meines Erachtens fragwürdigen Antrag torpediert. Nach über 1 1/2 Jahren gibt es nun immer noch keinen endgültigen Insolvenzverwalter. Rechtsanwalt Ralph Veil von der Kanzlei Mattil hat dem zur Abwahl vorgesehenen vorläufigen Verwalter Tobias Rußwurm von WallnerWeiß in den Sattel geholfen. Obwohl rund 70 Prozent der AnlegerInnen einen anderen Insolvenzverwalter wollen, sorgt das Gericht nicht für Handlungsfähigkeit.

Bleiben Sie besonnen

Ihr
Stefan Loipfinger

P.S.: Nächste Woche werde ich ein paar Tage Urlaub machen, weshalb am Freitag den 25. August 2023 kein Newsletter geplant ist.


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