Systemtests auf verschiedenen Ebenen

34-35/2023: Wöchentlicher Kommentar von Stefan Loipfinger

Liebe Leserinnen und Leser,
Abgeordnetenwatch hat vor ein paar Tagen interne Unterlagen veröffentlicht, wie eng die Finanzlobby mit der deutschen Politik verwoben ist. Bundesfinanzminister Christian Lindner sowie der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber haben sich erfolgreich gegen das von EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness angedachte Provisionsverbot stark gemacht. Lindner schrieb nach Brüssel, dass Abschlussprovisionen für Produkte der privaten Altersversorgung in Deutschland normal seien: „Ich habe die starke Befürchtung, dass ein generelles Verbot die Anlageberatung in den Fällen behindern würde, in denen sie am meisten benötigt wird.” Was ich an dieser Form der Lobbyarbeit aber vermisse, sind konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Situation. Viele kennen meine Meinung, wonach ich für eine Abschaffung des Provisionswettbewerbs durch Einführung einer Honorartabelle ähnlich der Steuerberatung bin. Ob diese Honorare der Produktanbieter überweist, ist dann nicht mehr entscheidend, wenn am Ende eine wichtige Dienstleistung überall gleich und vernünftig bezahlt wird.

Neben der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen, die einen funktionierenden Wettbewerb bei der Produktqualität statt für das lukrativste Provisionssystem gewährleisten, ist eine wirksame Kontrolle ganz entscheidend. In dem Punkt hat die Finanzaufsicht BaFin zuletzt mit der Aufhebung einer KVG-Erlaubnis Schlagzeilen produziert. Bei der für zahlreiche Fonds tätigen Adrealis Service Kapitalverwaltungs-GmbH haben die Aufseher die Erlaubnis aufgehoben. „Unter anderem“ wäre dies veranlasst worden, weil nicht mindestens zwei Geschäftsleiter bestellt waren. Die Konsequenz ist, dass die Verwaltung der Fonds auf die Verwahrstelle überging. Wenn ich mir die Erfahrungen bei einigen offenen Immobilienfonds ansehe, dann bin ich nicht überzeugt, dass dort mehr als die Formalismen erfüllt werden. Eine andere Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG), mit ausreichender Kompetenz bei den jeweiligen Assets, wäre mir lieber.

Wichtig wäre, dass die restlichen Project-Firmen überleben
Wichtig wäre, dass die restlichen Project-Firmen überleben

Managementkompetenz bei einer KVG ist derzeit auch bei der Project-Gruppe gefordert. Seit meinem letzten Newsletter wurde ein Ausschüttungsstopp für gewinnunabhängige Auszahlungen verkündet. Mit der Project Real Estate Institutional GmbH ist nun die sechste Firma der Gruppe insolvent. Derzeit prüfe ich regelmäßig die Insolvenzbekanntmachungen in Österreich, da ich dort die Nummer sieben vermute. Damit wäre der Project-Immobilienbereich komplett unter Insolvenzverwaltung, dem Investment-Bereich bleiben weitere Anträge hoffentlich erspart. Für die AnlegerInnen und die WohnungskäuferInnen ist es aber viel entscheidender, was auf Ebene der 118 Entwicklungsgesellschaften passiert. Ich habe mir zwischenzeitlich unzählige Jahresabschlüsse gezogen, denn nur über die historische Entwicklung ist aus den rudimentären, öffentlich verfügbaren Versionen etwas ableitbar. Das Ergebnis ist, dass ich regelmäßig auch in Deutschland das Portal für Insolvenzbekanntmachungen besuche.

Das ist jetzt aus rechtlichen Gründen nebulös formuliert und könnte Ängste bei den Betroffenen auslösen. Deshalb möchte ich an der Stelle noch einmal betonen, dass ich weiterhin keine(!) Insolvenzgefahr für die Fonds sehe. Klar werden diese durch mögliche Insolvenzen auf Ebene der Entwicklungsgesellschaften in Mitleidenschaft gezogen. Das wird schon deshalb passieren, weil ein ausgefallener Generalunternehmer zwangsläufig negative Folgen hat. Baut jemand anderer weiter? Zu welchem Preis in welcher Zeit? Welche Alternativen gibt es, um den Schaden in Grenzen zu halten? Ganz viele Fragen, die in jedem Einzelfall individuell beurteilt werden müssen. Volker Böhm als vorläufiger Insolvenzverwalter bekommt hier noch einiges zu tun.

Was können hingegen die AnlegerInnen derzeit tun? Nach meiner Meinung nur abwarten und die Entwicklungen aktiv beobachten. Wie ich gehört habe, werden nächste Woche Briefe an AnlegerInnen verschickt. Bei den AnsparanlegerInnen hat die Fondsgeschäftsführung ab September die Rateneinzüge ausgesetzt. Mehr weiß ich noch nicht, werde aber immer ganz aktuell im Forum Investmentcheck.Community berichten. Die Aussetzung der Ratenzahlung ist ein gutes Zeichen, dass die Interessen der AnlegerInnen noch eine Rolle spielen. Dieses Signal halte ich für ganz entscheidend. Denn am Ende wird es darum gehen, ob die unstrittig vorhandene Substanz billig zerschlagen und verscherbelt wird, oder ob es im Interesse aller Beteiligten vernünftige Überlegungen zur Schadensminimierung gibt.

Bleiben Sie informiert

Ihr
Stefan Loipfinger


Beitrag veröffentlicht

in

von