Solidarität im Schwarm

KW 03/2024: Kommentar von Stefan Loipfinger
Immer mehr Crowdfundings geraten unter Wasser
Bild: Stefan Loipfinger – Kirchturm am Reschensee

Liebe Leserinnen und Leser,

„kein Grund zum Schwärmen“, schreibt die Zeitschrift Finanztest in der aktuellen Ausgabe. Es geht um Schwarmfinanzierungen und die abnehmende Begeisterung dafür: „Bei Vermögensanlagen über Crowdfunding-Plattformen gab es 2023 so viele Insolvenzfälle wie nie zuvor.“ Für Sie als meine LeserInnen keine neue Erkenntnis, aber erstmals hat die Stiftung Warentest das empirisch untersucht. 2.760 Schwarmfinanzierungen nach Vermögensanlagengesetz im Zeitraum 2015 bis 2022 haben die Warentester ausgewertet. Der Beitrag ist hier ohne Bezahlschranke abrufbar.

„Bergfürst: Chef zuerst, Crowd danach“
Im Anschluss an die Crowdfunding-Auswertung hat Finanztest einen investigativen Beitrag zu Bergfürst veröffentlicht. Darin sind heftige Vorwürfe enthalten. Die Guido Sandler Verwaltungs GmbH (GSV) habe Darlehen an eine Emittentin vergeben und sich das Geld von der Crowd zurückbezahlen lassen. Der Zinssatz der GSV war mit 12,5 Prozent viel höher als die 6,5 Prozent der AnlegerInnen. Außerdem wurden fällige Zinszahlungen einer Emittentin an die Crowd mit Darlehen der GSV finanziert und so ein plangemäßer Verlauf suggeriert, der zu dem Zeitpunkt nicht mehr gegeben war. Ich habe die Emittentin dazu befragt und keine Antwort erhalten. Bergfürst ließ mir ein achtseitiges Anwaltsschreiben von einer der einschlägigen Medienkanzleien zuschicken. Man würde den Vorwurf von Interessenskonflikten nicht sehen und diesen zurückweisen. Bergfürst halte als Internet-Dienstleistungsplattform nach Paragraph 2a Vermögensanalgengesetz „alle gesetzlichen Anforderungen an die Transparenz und die Prozesse zur Vermeidung von Interessenkonflikten auf der Plattform der BERGFÜRST AG stets“ ein. Gemäß Paragraph 24 der Verordnung über die Finanzanlagenvermittlung würde ein Wirtschaftsprüfer die Vorkehrungen zu Interessenskonflikten überprüfen, was noch nie zu Beanstandungen geführt habe. Viele Seiten Aufklärung über mein rechtliches Unwissen und meine Berichterstattungsart, weil sich Investmentcheck-Beiträge typischerweise dadurch auszeichnen, dass an von mir „recherchierte Sachverhalte dann Vermutungen, Ableitungen bzw. Verdachtsäußerungen angeknüpft“ würden. Na ja, bei einem Kommentar ist eben Meinung enthalten. Aber zurück zu den Sachverhalten: Warum haben die Anwälte eigentlich nicht die fragwürdigen Darlehen der Guido Sandler Verwaltungs GmbH dementiert? Die gibt es offenbar. Letztendlich kann jeder selbst seine Schlussfolgerung ziehen, ob sich daraus ein aufklärungspflichtiger Interessenskonflikt ergibt.

Klage gegen Dagobertinvest
Mit 15 insolventen Fundings kommt auch die österreichische Plattform Dagobertinvest in dem Beitrag vor. Wie allerdings zahlreiche Postings im Anlegerforum zeigen, sind darüber hinaus eine Vielzahl leistungsgestört. Der Frust der Nachrangdarlehensgeber explodiert derzeit förmlich und die Bereitschaft rechtliche Schritte einzuleiten ebenfalls. Denn auch wenn die Plattformen gerne so tun, als würden sie keinerlei Verantwortung tragen, sind sie mindestens als Finanzanlagenvermittler verpflichtet, eine Plausibilitätsprüfung durchzuführen. Nach meiner Wahrnehmung erfolgte diese im harten Wettbewerb um neue Fundings bei vielen Plattformen eher aufgeweicht. Rechtsanwalt Lutz Tiedemann von der Hamburger Kanzlei Groenewold – Tiedemann – Griffel hat eine erste Klage zum Funding „P292 ORTNER REAL: Investmentfokus Projekte in Österreich“ eingereicht. Spannend zu lesen, denn er greift die Plattform an einer Achillesferse an: Die Gültigkeit der Nachrangklausel. Andere Plattformen wurden bereits reihenweise verurteilt. Bei Dagobertinvest dürfte es noch einfacher sein, weil deutsche AnlegerInnen über den qualifizierten Nachrang mit Verweisen auf die österreichische Insolvenzordnung aufgeklärt werden. Ob das den hohen Transparenzanforderungen der BGH-Rechtsprechung genügt?

Musterverfahren gegen E&V Digital Invest
Ganz spannend ist auch die reihenweise Einreichung von Klagen gegen E&V Digital Invest durch Rechtsanwalt Tobias Pielsticker von der Kanzlei Witt Rechtsanwälte. Hintergrund ist, dass sich schon über 50 streitbare AnlegerInnen in meinem Forum zum Funding „Modernes Wohnen am Nymphenburger Kanal II“ gefunden haben. Sie wollen das Verfahren als KapMuG-Fall grundsätzlich vom zuständigen Oberlandesgericht klären lassen. Meines Wissens gab es bei Crowdfundings noch keine Anwendung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes. Bei anderen Problem-Fundings sammeln wir ebenfalls schon fleißig MitstreiterInnen, um auch dort kostengünstige Lösungen zur Durchsetzung von rechtlichen Schritten organisieren zu können. Es ist schon fast beängstigend, wie sehr die Plattformen ihre Verantwortung als Finanzanlagenvermittler unterschätzen. Man will zwar viel Geld verdienen und riskiert durch eine Verlängerung der Wertschöpfungskette rechtlich noch leichter angreifbar zu sein, ist aber nicht bereit ein paar Euro in die Hand zu nehmen, um die Interessen der AnlegerInnen ernsthaft gegenüber Emittentinnen durchzusetzen. Der Zulauf von neuen enttäuschten AnlegerInnen schafft zunehmend Gruppengrößen, um wahrhafte Solidargemeinschaften für kostengünstige Musterverfahren möglich zu machen.

Bleiben Sie im eigenen Interesse solidarisch.

Ihr
Stefan Loipfinger


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

2 Antworten zu „Solidarität im Schwarm“

  1. Avatar von Raffi
    Raffi

    Hi,
    der Artikel ist doch hinter einer 4,90€ PayWall.
    Werde ich mir dann im Kiosk kaufen und genauer anschauen.
    Verluste sind leider bei mir bei den Russischen Banken festzustellen.
    Vielen Dank für den Hinweis

    1. Avatar von stefan.loipfinger
      stefan.loipfinger

      Sie haben Recht mit Ihrem Hinweis. Das wurde offenbar geändert, denn ich habe gestern den Beitrag noch ohne Zugangsbeschränkung downloaden können.
      Aber die 4,90 Euro sind m.E. gut angelegt …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert