Bis zu 6.000 Mahnbescheide bei P&R

P&R-Insolvenzverwalter müssen Verjährungen verhindern

Die unglaubliche Dimension des P&R-Skandals zeigen die Insolvenzverwalter aktuell durch ein paar Zahlen: „Von rund 114.000 verschickten Hemmungsvereinbarungen wurden bislang rund 108.000 ordnungsgemäß unterzeichnet an den Insolvenzverwalter zurückgesandt.“ Es geht um mögliche Anfechtungsansprüche aus noch vor den Insolvenzanträgen an AnlegerInnen zurück bezahlte Gelder. 3 1/2 Jahre nach den Insolvenzen ist immer noch völlig unklar, wie damit umzugehen ist. Ein Kommentar von Stefan Loipfinger zu einem Problem der ganz besonderen Art.

Im Frühjahr 2018 hat fast jedes deutsche Medium über den größten Skandal am grauen Kapitalmarkt in Deutschland berichtet. Der Containeranbieter P&R aus dem Münchner Vorort Grünwald musste Insolvenzanträge stellen. 3,5 Milliarden Euro Anlegerkapital von 54.000 AnlegerInnen standen im Feuer. Monatelang wurde darüber spekuliert, wie viel davon verschwunden sein könnte. Heute wissen wir, dass eine Million Container fehlen und rund 2,5 Milliarden Euro Schaden entstanden sind. Viel Leid wurde angerichtet, als die Dimension bekannt wurde. Aber auch noch heute wird viel Leid angerichtet, was leider in der medialen Aufmerksamkeit unter geht. Es geht um mögliche Anfechtungsansprüche in Milliardenhöhe, die tausende AnlegerInnen schlecht schlafen lassen. Es geht um ein Insolvenzrecht und eine Gerichtsbarkeit in Deutschland, die 3 1/2 Jahre nach den Insolvenzanträgen immer noch völlige Unklarheit hinterlassen.

P&R ist der größte Anlegerskandal auf dem grauen Kapitalmarkt, den es in Deutschland je gab.
Das meiste Geld der Anleger ist verschwunden.
Bild: Eingang der Firmenzentrale in Grünwald

Dabei geht es um Fragen, die vermutlich für 80.000 AnlegerInnen relevant sind. Darunter sind Menschen, die nach der Finanzkrise 2008 anfingen ihre Investments bei P&R zu reduzieren oder die aufgrund einiger weniger kritischer Berichte ein schlechtes Bauchgefühl hatten und fällige Gelder in den Jahren vor dem Zusammenbruch nicht mehr reinvestierten. Sie freuten sich vielleicht im Frühjahr 2018, dass sie nicht mehr oder nur noch gering bei P&R investiert waren. Es war Glück, vielleicht war es ein gutes Gespür, aber es war kein Insiderwissen. Und trotzdem müssen diese Menschen nun vielleicht das von den P&R-Geschäftsführern überwiesene Geld zurückbezahlen. Bis zu vier Jahre vor den Insolvenzanträgen gilt das laut Insolvenzordnung. Denn es war das Geld anderer Menschen, die auf das fast 40 Jahre funktionierende P&R-Modell vertrauten. Es war zu großen Teilen ein Schneeballsystem.

Bis hierher denkt der eine oder die andere vielleicht, dass es nur gerecht ist, wenn diese Menschen das Geld zurückgeben müssen, das ja anderen gehörte. Das Geld würde schließlich in den Insolvenztopf fließen und dann an alle geschädigten Anlegerinnen verteilt. Dadurch erhöht sich die Quote für jeden einzelnen, die Verluste werden sozusagen sozialisiert. In Zahlen ausgedrückt: Die 2,5 Milliarden Schaden verteilen sich nicht auf 3,5 Milliarden Euro Anlegerkapital, sondern auf vielleicht fünf oder sechs Milliarden Euro.

So weit die eine Seite der Medaille. Was passiert aber mit den Geldern, die ausbezahlt und dann wieder neu bei P&R angelegt wurden? Unter den 80.000 Betroffenen sind solche, die das Geld nicht sofort wieder investierten, sondern erst später einen anderen Betrag. Wann besteht ein zeitlicher Zusammenhang und wie wird damit umgegangen. In der Fachsprache heißt das Entreicherung. Wer entreichert ist, der muss das erhaltene Geld nicht zurückgeben. Da bei P&R sehr viele ältere Menschen anlegten muss auch geklärt werden, ob die Erben zurückbezahlen müssen. Bei diesen Fallzahlen wird jede nur denkbare Konstellation vorkommen. Sie müssen alle entschieden werden, um der Gerechtigkeit genüge zu tun.

Deutsches Gerechtigkeitsempfinden durch das Regeln von möglichst jedem Fall führt unweigerlich zu Ungerechtigkeit. Das ist meine Meinung. Je komplexer ein System, desto mehr hilft es denen, die sich spezialisierte Berater leisten können. Die finden schon die Ausnahme der Ausnahme, die eigentlich für einen Menschen gemacht wurde, der das System nicht mehr durchschaut. Der auch nicht die Möglichkeit hat sich spezialisierte Berater zu leisten und sein Recht vor Gericht zu erstreiten.

Damit sind wir nun beim eigentlichen Skandal in der Geschichte. Obwohl Ende dieses Jahres eventuelle Anfechtungsansprüche verjähren, ist noch völlig unklar, wie damit umzugehen ist. Der Gesetzgeber hat mit der Einrede der Verjährung ein Instrument geschaffen, damit bei bestimmten Sachverhalten irgendwann der Deckel drauf sein soll. Die Justiz, die die Auslegung der Insolvenzordnung für den Fall P&R vorgeben müsste, ist aber längst noch nicht so weit. Von den sechs mir bekannten Pilot-Verfahren sind zwei noch nicht einmal in erster Instanz entschieden, zwei liegen noch bei der zweiten Instanz und zwei sind auch in zweiter Instanz unterschiedlich entschieden worden.

Niemand kann also heute sagen, wie das Ganze ausgehen wird. Ich habe als einziger Journalist schon eine Reihe von mündlichen Verhandlungen vor Ort besucht und mir viele Argumente angehört. Jede Auslegung kann begründet werden. Am Ende muss einer entscheiden und das kann nur der Bundesgerichtshof sein. Sowohl das Oberlandesgericht München als auch Hamm, die in ihren Entscheidungen völlig unterschiedlich ausgefallen sind, sehen aber keine Grundsatzbedeutung und haben keine Revision zugelassen. Die RicherInnen wollen jeweils ihre Entscheidung als letztinstanzlich gewürdigt wissen. München hat in seinem Urteil zu einem P&R-Leasingfall sogar ausdrücklich geschrieben, dass ihre Meinung auch für die anderen P&R-Modelle gelten soll, obwohl diese dort nicht verhandelt wurden. Dieses ausgeprägte Selbstbewusstsein erschwert es zusätzlich, die Fragen verbindlich zu klären.

Mir tun die AnlegerInnen leid, die seit Jahren mit der Ungewissheit leben, durch P&R eventuell noch mehr Geld zu verlieren, als sie zum Insolvenzzeitpunkt investiert hatten. Nein, ich will P&R-AnlegerInnen nicht zu armen Menschen stilisieren. Aber es sind meist Menschen, die sich fleißig etwas Geld gespart haben und es mit einer kleinen Rendite verzinst wissen wollten. Sie waren nicht gierig und haben ein Recht darauf zu erfahren, was noch auf sie zukommt. Ich habe schon öfter gehört, dass sie unruhig schlafen, weil sie eventuell zig-tausend Euro in einen Topf einzahlen müssen, von dem sie nur einen kleinen Teil zurückerhalten würden.

Nicht wenige AnlegerInnen sehen in ihrem Unmut die Insolvenzverwalter als die Schuldigen an. Sie wollen die Masse vergrößern und daran gut verdienen. Es ist richtig, dass Dr. Michael Jaffé und Dr. Philip Heinke an den Anfechtungen gut verdienen würden. Aber ist Gier wirklich ihr Motiv? Ich würde sagen nein, weil sonst hätten sie einfach schon zu Beginn entschieden Anfechtungen vorzunehmen. 114.000 einzuholende Hemmungsvereinbarungen wären ebenso viele mögliche Anfechtungsklagen. Sie können das mit 1.000 oder 2.000 Euro Fallpauschale multiplizieren und schnell erkennen, wie hoch allein die Dimension einer einfachen Gebühr ist. Dazu haben sich die Insolvenzverwalter allerdings nicht entschieden, sondern nur zu ein paar Pilotverfahren. Übrigens: Einfach nichts zu tun ist für die Verwalter keine Option. Sie haften persönlich mit ihrem Privatvermögen für jeden Schaden. Und bei so vielen Betroffenen gibt es auch Gewinner im Falle von Anfechtungen, die dann die Verwalter für ihr Nichtstun haftbar machen könnten.

Und damit schließt sich der Kreis zu der aktuellen Ankündigung der Insolvenzverwalter. Sie verschicken in den nächsten Tagen 6.000 Zahlungsaufforderungen. Die erhalten diejenigen AnlegerInnen, die bisher nicht auf die Einrede der Verjährung verzichteten. Sie glauben, ohne Hemmungsvereinbarung durchzukommen. Das wird nicht gelingen, da sie nach der Zahlungsaufforderung dieses Jahr auch noch einen Mahnbescheid erhalten werden. Der unterbricht die Verjährung und kostet natürlich Geld. Meines Erachtens sind das unnötige Kosten, die noch durch die Unterschrift unter eine Hemmungsvereinbarung vermieden werden können.

Wenn Sie mich fragen, dann würde ich mir eine schnelle BGH-Entscheidung dahingehend wünschen, dass es keine Anfechtungsansprüche gibt. Für mich ist das die gerechteste Variante. Oder sollen wir demnächst darüber beraten, ob beim Wirecard-Betrug auch die Aktionäre ihr Geld zurückzahlen müssen, die noch vor dem Skandal Aktien verkauft haben? Wenn Sie hier ja sagen, dann schließe ich die Frage an, warum wir das nur für vier Jahre zurück machen sollen. Warum nicht fünf oder zehn Jahre? Nein, das bringt uns nicht weiter und erhöht die Komplexität und damit die Ungerechtigkeit. Ich bin ein Verfechter von möglichst einfachen Systemen, die auch jeder verstehen kann. Das schafft zwar ungerechte Einzelfälle, die aber gleichmäßig verteilt sind. Anders als komplexe Regeln, die vor allem die Rechtskundigen und die Streitbaren begünstigen. Das sage ich auch in dem Bewusstsein, dass mir jetzt ein paar Anwälte vehement widersprechen.

P.S.: Jaffé und Heinke haben in ihrer Veröffentlichung auch angekündigt, dass vermutlich bereits im Sommer 2022 eine weitere Abschlagsverteilung vorgenommen werden kann: „Die Verwertung der vorhandenen Container entwickelt sich weiter positiv. Bislang konnten daraus Erlöse von über 540 Mio. Euro generiert werden. Über 200 Mio. Euro davon wurden bereits bei der ersten Abschlagsverteilung in diesem Jahr an die rund 54.000 Gläubiger ausgezahlt.“

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