Nur 800 Meter bis zum Ziel

Beginnt und endet die Ungewissheit für P&R-Geschädigte in Karlsruhe?

Günther Schneider*) kämpft für Tausende P&R-Anleger. Dabei ist er eigentlich keiner der 54.000 Insolvenzgeschädigten. Er hatte Glück und sein Investment ist kurz vor der Pleite plangemäß zurückbezahlt worden. Er fühlte sich sicher, bis er einen Brief vom Insolvenzverwalter Michael Jaffé erhielt. Dieser forderte ihn auf, den Rückkaufspreis und die in den vier Jahren vor Insolvenzantragsstellung erhaltenen Mieten zurück zu geben. Der passionierte Motorradfahrer Schneider sieht sich im Recht, weil er wie alle anderen Investoren von den Betrügereien im Hintergrund nichts wusste. Gleich einem Börsenanleger, der kurz vor einem Crash verkauft, hat er sein Geld genommen. Doch statt in weitere Container investierte er lieber in ein neues Motorrad. Der Fall liegt nun beim Landgericht Karlsruhe zur Entscheidung und ist richtungsweisend für Tausende anderer Anfechtungsfälle. Vergangenen Freitag argumentierte Rechtsanwalt Martin Fritz von der Kanzlei Jaffé bei der mündlichen Verhandlung, dass die Zahlungen an Schneider das Geld anderer, geschädigter Anleger wären, weil P&R seit Jahren nur noch als Schneeballsystem funktionierte. Schneider’s Gutschriften wären eine unentgeltliche Leistung. Der geschätzte Gesamtschaden von 2,5 Milliarden Euro (3,5 Milliarden Euro Anlegerkapital minus eine Milliarde Euro noch vorhandenes Restvermögen) müsse zum Teil auch von diesen Anlegern mitgetragen werden.

Anfechtungen. Entscheidend für die Auslegung von Paragraph 134 der Insolvenzordnung ist die Frage, ob die Zahlungen bis zu vier Jahre vor Insolvenzantragsstellung als entgeltliche oder unentgeltliche Leistung anzusehen sind. Die Insolvenzverwalter der Kanzlei Jaffé schreiben dazu in ihren kürzlich verfassten Sachstandsberichten, ein eingeholtes Gutachten von einem renommierten Insolvenzrechtsexperten liefere Argumente für die eine und für die andere Rechtsauffassung. Jaffé hat nun mehrere Pilotverfahren identifiziert, um eine klärende Rechtsprechung herbeizuführen. Immer wieder betont er, dies tun zu müssen, um eine eigene Haftung zu vermeiden. Das ist absolut einleuchtend. Bei einer Verteilung des Schadens auf eine größere Anlegerzahl gibt es Gewinner und Verlierer. Dies gilt auch im umgekehrten Fall. Bei einer alleinigen Entscheidung durch ihn könnte es zu Klagen von der jeweiligen Verliererseite führen. Gemäß Insolvenzordnung ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft seine Pflichten verletzt.

Schon fast wie im Hinterzimmer wurde beim Landgericht Karlsruhe über mögliche Anfechtungsansprüche in Milliardenhöhe gegen P&R-Anleger verhandelt.
Mündliche Verhandlung am 19. Juni 2020 beim Landgericht Karlsruhe über Anfechtungsansprüche gegen einen P&R-Anleger
Bild: Stefan Loipfinger

Karlsruhe. Am Freitag, den 19. Juni 2020, fand um 9.30 Uhr beim Landgericht Karlsruhe die erste mündliche Verhandlung dazu statt. Aus Besuchersicht befand sich auf der rechten Seite (siehe Foto) Martin Fritz, der den Insolvenzverwalter der P&R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs GmbH vertrat. Auf der linken Seite kämpfte Alexander Pfisterer-Junkert von der Kanzlei BKL Fischer Kühne + Partner für den Beklagten Schneider. Zum Glück kamen nur zwei Besucher, sonst wäre der kleine Gerichtssaal für Corona-Sicherheitsabstände nicht mehr tauglich gewesen. Die Einzelrichterin Möwes war extrem gut vorbereitet und diskutierte die Sachlage sehr dezidiert mit beiden Seiten. Eine klare Tendenz in Bezug auf ihre Entscheidung war nicht zu erkennen. Sie verhandelte ergebnisoffen, wobei Fritz mit der hypothetischen Argumentation in Richtung Darlehensgewährung zwischendurch stark ins Hintertreffen geriet. Diese lebensnahe Betrachtung, wonach es einem Anleger ja nie um die Container selbst ging, sondern um das darauf aufgesetzte, darlehensähnlich ablaufende Geschäft, untermauerte sie mit verschiedenen Vertragsklauseln. Denn P&R konnte beispielsweise Container ohne Zustimmung des Anlegers austauschen oder bei Verlust durch ähnliche ersetzen. Auch der von P&R vertraglich vorgesehene Eigentumsübergang nach 90 Tagen in Verbindung mit den bereits vorher mit Kaufpreiszahlung eines Anlegers beginnenden Mietansprüche sprechen klar dafür, dass es wohl nicht auf den jeweils individuellen Container ankam.

Pilotverfahren. Neben dem am weitesten fortgeschrittenen Verfahren in Karlsruhe sind noch sieben andere Fälle bei verschiedenen Gerichten in Deutschland anhängig. Viele sind noch nicht einmal terminiert, nur in Stuttgart gibt es einen ersten Hinweisbeschluss. Demnach tendiert das dortige Landgericht offenbar dazu, die Anfechtungen der Mieten abzuweisen aber bei den Rückzahlungen stattzugeben. Auch diese Ansicht ist gut nachvollziehbar, da die Mieten vertraglich festgelegt waren, während P&R die Rückzahlungen – aus steuerlichen Überlegungen heraus – in ihrer Höhe nicht fixierte.

Loipfinger’s Eindruck. Martin Fritz von der Kanzlei Jaffé argumentierte als Kläger zwar pro Anfechtung, hat aber vor allem Interesse an einer höchstrichterlichen Klärung gezeigt. Alexander Pfisterer-Junkert möchte zu Gunsten seines Mandanten unbedingt die Anfechtungen verhindern, auch wenn er im Falle des Obsiegens als Rechtsanwalt mögliche Mandate verlieren könnte. Schließlich sind Anfechtungen immer mit massiven Streitigkeiten verbunden, weil zum Beispiel Fragen der Entreicherung geklärt werden müssen. So scheute er nicht davor zurück, die Richterin im Falle eines Stattgebens der Klage auf die Folgen einer gigantischen Gebührenmaschine hinzuweisen. Rechtsanwalt Marvin Kewe von der Kanzlei Tilp, der als zweiter Besucher für seine Mandanten das Verfahren verfolgte, hat als rechtlich erfahrener Beobachter leichte Punktgewinne für Pfisterer-Junkert gesehen. Im Hintergrund erläuterte er außerdem einen interessanten Effekt aus der Beweislastpflicht, der hier noch eine große Bedeutung bekommen könnte. Denn zur Durchsetzung anfänglicher Aus- und Absonderungsansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter war ein Investor beweispflichtig, dass er wirksam Eigentum erlangte. Im Anfechtungsverfahren ist nun aber Jaffé in der Pflicht, den Anlegern nachzuweisen, dass sie kein Eigentum erworben haben.

Rechtsanwalt Pfisterer-Junkert vor dem Landgericht Karlsruhe
Rechtsanwalt Pfisterer-Junkert vor dem Landgericht Karlsruhe
Bild: Stefan Loipfinger

Situationsbericht. Vor einigen Tagen schickten die Insolvenzverwalter der P&R-Gesellschaften ihren 3. Sachstandsbericht an das Amtsgericht München. Diese Investmentcheck vorliegenden Papiere enthalten einige interessante Neuigkeiten. Danach sind aktuell 325 Millionen Euro mit den vorhandenen Containern erwirtschaftet worden. Von den anfänglich vorhandenen 630.000 Containern sind immer noch 548.000 Stück mit 791.000 TEU (größenabhängige Umrechnung auf die Standardcontainer mit 20 Fuß) unter Verwaltung. Jaffé bleibt bei seiner schon mehrfach geäußerten Einschätzung, insgesamt über eine Milliarde Euro zu erlösen. Gewisse Zweifel scheinen in der aktuellen Coronakrise aber aufzukommen: „Es lässt sich allerdings nicht ausschließen, dass es bei den großen Reedereien zu Liquiditätsengpässen kommt, so dass von dort versucht werden wird, Verträge nachzuverhandeln oder Stundungen zu erreichen. Hier kann es also je nach Verlauf und Dauer der Krise mittelfristig zu Auswirkungen auf die Mieteinnahmen kommen.“

Verrechnungsproblem. Eine von vielen P&R-Investoren vermutlich nicht wahrgenommene Problematik wird im aktuellen Sachstandsbericht sehr ausführlich beschrieben. Es geht um die Frage, wie das Geld aus der Containerverwertung auf die verschiedenen insolventen P&R-Gesellschaften verteilt wird (Vermögensbilanzen 2018 im Vergleich). Jaffé spricht hierbei von einer notwendigen Entflechtung der Konzernstrukturen aufgrund von wechselseitigen Forderungen zwischen den Gesellschaften. Auch hier benötigt er eine Lösung, die am Ende rechtlich unzweifelhaft sein muss, da diese Frage ebenfalls je nach Entscheidung wieder Gewinner und Verlierer bei den Anlegern produziert. „Es ist beabsichtigt, eine Lösung zu erarbeiten, die von den jeweiligen Gläubigerausschüssen und den bestellten Sonderinsolvenzverwaltern akzeptiert wird. Abzustimmen bleibt noch, ob darüber hinaus auch die Gläubigerversammlungen einer Lösung zustimmen sollen.“ Die sich unabhängig vom Ausgang ergebende Konsequenz dürfte vielen Anlegern allerdings nicht gefallen: „Es erscheint weiterhin möglich, im kommenden Jahr eine erste Abschlagsverteilung auf den Weg zu bringen, wenn sich keine unvorhergesehenen Schwierigkeiten oder Verzögerungen ergeben.“ Zur Klarstellung: Das kommende Jahr ist jetzt das Jahr 2021, so dass die in diesem Jahr schon erwartete Ausschüttung ausbleiben wird. Für eventuell noch einmal einzuberufende Gläubigerversammlungen gibt das in Verbindung mit unterschiedlichen Insolvenzquoten bei den einzelnen P&R-Gesellschaften einiges an emotionalem Diskussionsstoff.

Steuern. Am Rande wird in den Sachstandsberichten das Thema Steuern gewürdigt. Jaffé hat die nun schon Jahre andauernde, fiskalische Hängepartie höflich umschrieben. Das Finanzamt München und das Landesamt für Steuern hätten damit begonnen, den für die Besteuerung maßgebenden Sachverhalt für die Containergeschäfte aufzunehmen und intern zu würdigen. Damit werde das Ziel verfolgt, eine bundeseinheitlich abgestimmte Sichtweise für die zutreffenden Besteuerungsfolgen zu erarbeiten. Ein Ergebnis dieser Würdigung steht aber noch aus. Für die betroffenen Investoren verlängert sich somit die Phase der steuerlichen Ungewissheit. Viel schneller war die Finanzverwaltung bei den Fällen mit Verdacht auf Steuerhinterziehung. Offenbar wurde sofort überprüft, wer seine Einkünfte überhaupt deklariert hat und wer nicht. Bei fehlenden Deklarationen erfolgten Anfragen von Finanzämtern und Steuerfahndern. Jaffé musste dann abgeschlossene Verträge und erfolgte Zahlungsströme offenlegen.

Beraterhaftung. Weitere Neuigkeiten gibt es für Anleger bei dem Thema einer möglichen Beraterhaftung. Die bisherigen erstinstanzlichen Entscheidungen sind unterschiedlich ausgefallen. Ein Umstand, der auch an den jeweils individuellen Gegebenheiten liegen kann. Da inzwischen erste Fälle bei Oberlandesgerichten gelandet sind, wird es entscheidend, deren Bewertungen dieses Themas zu verfolgen. So befasst sich das Oberlandesgericht Oldenburg derzeit mit einem Fall, zu dem Investmentcheck ein Hinweisbeschluss vorliegt. In erster Instanz unterlag der Anleger. Das OLG wird diese Entscheidung offenbar bestätigen. Interessant über den Einzelfall hinaus ist allerdings die sehr umfassende Beurteilung insgesamt. So sieht das OLG keine Verletzung der vom Finanzberater geschuldeten Plausibilitätsprüfung. Das Gesamtbild zum Beteiligungsobjekt sei sachlich richtig und vollständig gewesen. Außerdem liege keine Verletzung von Auskunftspflichten in Bezug auf die Frage des tatsächlich erlangten oder nicht erlangten Eigentums vor. Die Nichtanforderung eines Eigentumszertifikats könne ebenfalls nicht dem Finanzberater angelastet werden. Nicht einmal eine Auswertung von öffentlich einsehbaren Jahresabschlüssen könne laut Hinweisbeschluss von einem Anlagevermittler verlangt werden. Der Argumentation des P&R-Investors, er wäre nicht über das Risiko eines möglichen Totalverlustes aufgeklärt worden, ist das OLG ebenfalls nicht gefolgt. Es sei entbehrlich, sofern der Investition ein Sachwert gegenübersteht, der in aller Regel erhalten bleibt, weil dann das Risiko eines vollständigen Kapitalverlustes gering ist. Sogar ausdrücklich erwähnt widerspricht das OLG damit den für Anleger positiven Urteilen der Landgerichte in Erfurt und Stuttgart. Alexander Pfisterer-Junkert freut sich als Vertreter des Beklagten über das sich hier abzeichnende Urteil. Unabhängig von der rechtlichen Würdigung jedes Einzelfalls sind seines Erachtens viele Vermittler selbst Investoren und genauso getäuscht worden wie die restlichen Privatanleger.

Loipfinger’s Meinung. Was in Karlsruhe beginnt, wird in Karlsruhe enden. So könnte die mündliche Verhandlung beim dortigen Landgericht interpretiert werden, denn nach dem derzeitigen Stand wird diese letztendlich wohl beim ebenfalls in Karlsruhe ansässigen Bundesgerichtshof landen. Wie lange Schneider für die 800 Meter Luftlinie von einem Gericht zum anderen benötigt, ist allerdings offen. Da beide Seiten einer Sprungrevision offenbar nicht abgeneigt scheinen, könnte es sogar schneller gehen als manche befürchten. Unabhängig vom Ausgang dürften sich Anleger über die Verkürzung der Unsicherheitsdauer freuen. Wenig erfreut sind sie mit Sicherheit über die in diesem Jahr ausbleibende erste Abschlagszahlung und die immer noch andauernde Frage, wie ihre P&R-Investments steuerlich zu behandeln sind.

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*) Name von der Redaktion geändert